Kängurucarpaccio

ROMan

269 Seiten

 

Zum Taschenbuch

ISBN 9781493737147

 

Zum E-Book

ISBN 1493737147


Leseprobe

Epilogischer oder auch unlogischer Prolog 31.12.

„Ich würde sagen, wir beginnen mit einer Trilogie von gestopfter Froschleber, gratiniertem Elefantenohr und selbst gesammelten Schimmelpilzen, lassen als Hauptgang flambierten Schweinefuß auf Kaviar folgen, natürlich nach der Niedertemperaturmethode gegart, und beenden das Menu mit einer Mousse aus kandierten Schneeglöckchen auf einem Balsamicospiegel“, schlug Lukas genießerisch vor. „Dazu trinken wir einen Brennnessel-Bio-Barolo.“ – „Aber eisgekühlt“, forderte Emma. „Mein liebes Kind, du musst noch viel lernen“, dozierte Thomas. „Gerade Brennnessel-Bio-Barolo muss vorher dekantiert werden, damit er atmen kann. Man serviert ihn selbstverständlich bei Zimmertemperatur.“

„Und du Thomas? Womit willst du das toppen?“, fragte Lukas. Thomas überlegte nur einen Moment. „Als Aperitif biete ich euch einen hochprozentigen Algenblütencocktail an, damit ihr den folgenden Gängen nicht nur mental gewachsen seid. Als Vorspeise serviere ich pochierte Albatrossessenz an einer Vinaigrette aus extra nativem kalt gepresstem Schmieröl. Dann folgt ein Carpaccio vom Schwanzhaar des Koberindes. Und wenn ihr dann noch mögt, bekommt ihr als krönenden Abschluss Vogelbeeren-Mousse mit Hundekuchen-Hippen.“

„Das hört sich wirklich lecker an“, sagte Verena. „Dafür gebe ich dir bestimmt wieder zehn Punkte.“ – „Wenn nach dem Vogelbeeren-Mousse überhaupt noch jemand punkten kann“, warf Christine ein. „Vielleicht sollten wir Thomas Menu sicherheitshalber auf den Freitag legen.“

„Na gut, dann übernehme ich eben den Dienstag“, sagte Emma fröhlich. „Bei mir werdet ihr zumindest vermutlich überleben. Obwohl mein Ensemble von frittierten Kreuzspinnen und Kugelfischleberragout an einer Bittermandelreduktion vielleicht auch das eine oder andere kleine Risiko birgt.“

„No risk, no fun…“, grinste Lukas…

 

Teil 1 Das dinner

 

Emma 15.8.

 

„Aber du kannst doch überhaupt nicht kochen“, japste meine Mutter entsetzt und deutete mit der Gabel, auf der eine halbe Krokette in bedenkliche Schräglage geriet, auf die Schüsseln, die unseren sonntäglichen Mittagstisch zierten. „Jetzt ist sie komplett übergeschnappt“, meinte mein jüngerer Bruder befriedigt. Schließlich hatte er es schon immer gewusst.

„Warum lasst ihr sie es nicht wenigstens probieren?“, fragte der Pädagoge am Tisch. „Es ist verdammt einfach, jemanden zu entmutigen. Stärkt ihr lieber den Rücken. Sie soll ja schließlich nur ein Essen kochen und nicht den Nobelpreis für Physik erringen.“

„Kurt“, sagte meine Muter gereizt, „sie blamiert sich bis auf die Knochen. Und uns auch“, setzte sie bedrückt hinzu. Der Gedanke schien noch schmerzhafter. „Und das im Fernsehen“, freute sich mein Bruder. „Cool, wenn ihr alles anbrennt.“ - „Halt den Mund“, fuhr ihn meine Mutter an.

Die Gelegenheit schien günstig. Die Bemerkung meines Bruders hatte dazu geführt, dass ich nicht mehr allein in der Schusslinie stand. Ich bettelte: „Kann ich nicht vielleicht einen Crash-Kurs bei dir machen?“ Meine Mutter starrte mich verblüfft an. „Du wolltest mir doch schon seit Jahren ein bisschen kochen beibringen.“ Ich versuchte, mit einem gewinnenden Lächeln, meine Mutter zur Kooperation zu überreden.

Aber das Lächeln war offenbar nicht gewinnend genug. „Jetzt grins nicht auch noch so frech“, sagte sie klagend. „Wie oft habe ich dir in den letzten Jahren angeboten, nein, wie oft habe ich dich angefleht, mir in der Küche zu helfen? Wie oft habe ich dir gesagt, dass das Leben nicht nur aus Mensa und Dosen besteht?“

Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Seit ich über die Arbeitsplatte in der Küche hinwegsehen kann, also ungefähr mit fünf Jahren, hat sie mir alle möglichen Einsteiger-Angebote gemacht vom Weihnachtsplätzchenausstechen bis zum gemeinsamen Kochen von Miracoli-Spaghetti. Ich besitze seit urdenklichen Zeiten ein Kochbuch für Kinder, dessen Titelseite ein Vollkornbrot mit Gurkenaugen, einer Möhrennase und einem Tomatenmund ziert. Ich fand das immer abschreckend.

„Mama, ich bin 22, also noch durchaus lernfähig. Lass uns doch bitte einen Versuch machen“, bettelte ich erneut. Meine Mutter schob die Krokette in den Mund, seufzte und fragte etwas undeutlich: „Wie viel Zeit haben wir?“ Ich setzte ein wie ich fand beruhigendes Lächeln auf und sagte zuversichtlich: „Ich bin erst Montag in einer Woche dran.“

Meine Mutter erbleichte, während mein Vater sagte: „Na bitte, bis dahin schafft ihr das schon. Eine so hervorragende Köchin wie du…“ – „Kurt, SIE soll kochen und nicht ich. Momentan traue ich ihr nicht mal zu, Reis im Kochbeutel zuzubereiten.“

Ich mir auch nicht, wenn ich das so recht überlege. Aber was soll ich machen? Frei nach Eko Fresh: Ich bin jung und brauch das Geld. Bewerbungen bei Quizsendungen wie „Wer wird Millionär“ oder Wohn-Dokusoaps waren leider bisher nicht von Erfolg gekrönt. Und für „Deutschland sucht den Superstar“ und „Popstars“ fehlt mir die Begabung, obwohl, wenn man die Typen da so sieht… Na ja, jedenfalls kann ich Dieter Bohlen und D. nicht ausstehen. Damit fällt diese Option auch weg. Und vernünftige Jobs in den Semesterferien sind verteufelt schwer zu bekommen.

Vor ein paar Wochen kurz nach meinem Auszug bei meinen Eltern – ich bin aber zum Essen noch relativ häufig da – sah ich zufällig eine Folge von „Das perfekte Dinner“, momentan ein absolutes TV-Muss für meine Mutter, wie sich durch ihre Reaktion auf den Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen, herausstellte. „Schhhh, später!“

So kam ich also in den Genuss einer Folge. Fünf Leute aus einem Ort, die sich nicht kennen, versuchen an je einem Abend für die anderen vier ein perfektes Dinner zu kochen. Jeder bewertet jeden und am Ende der Woche bekommt der Sieger 1.500 €. Wie cool ist das denn? Man isst vier Mal wie im Luxusrestaurant, muss sich einen Tag lang selbst anstrengen und wenn alles klappt, winken 15 Hunderter auf einem Silberteller.

In meiner Folge kochte ein schwuler Flugbegleiter aus Gelsenkirchen in seiner bonbonrosa Küche Entenbrust auf Salat, Lammfilets und irgendein Parfait (scheint eine Art Eis zu sein). Er war der Erste in der Woche und kannte daher die anderen noch nicht, genau wie ich übrigens in meiner Woche, aber das kommt später.

Mann, das wird lustig, dachte ich, als sich herausstellte, dass er für eine Ökotusse, die natürlich Vegetarierin war, und für eine Art Barbie kochen sollte, die sich beim Lesen der Speisekarte schüttelte, weil sie keine Tierbabys essen wollte. Der dritte Gast meckerte wirklich an allem herum: Die Deko war ihm zu rosa, die Entenbrust nicht rosa genug, der Weißwein und der Gastgeber waren ihm zu warm und die Nudeln zum Hauptgericht waren aus der Tüte. Der letzte Gast war soweit ganz normal, aber einer von vieren, der nett bewertet, reicht eben nicht. Der Gastgeber saß hinterher einigermaßen verzweifelt am Tisch und gab sich mit dem warmen Wein die Kante, obwohl er, wie meine Mutter die Expertin mir erklärte, erst am Ende der Woche erfahren würde, dass er mit nur 25 Punkten nicht den Hauch einer Chance auf den Sieg haben würde. Jeder kann nämlich bis zu zehn Punkten vergeben und von den 40 maximal erzielbaren war er ja nun doch einigermaßen weit weg.

Ich hab die Sendung dann einfach in mein Bewerbungsprogramm mit einbezogen und bekam zu meiner eigenen Überraschung gar nicht lange danach einen Anruf vom Sender. Ein Redakteur unterhielt sich mit mir, fragte mich, was ich denn kochen wolle, gab sich erst mal mit einer genuschelten Antwort zufrieden und kündigte dann seinen Besuch in meiner Wohnung an. Meine Wohnung, ein Kapitel für sich…

Wie ich schon sagte, bin ich erst vor ein paar Wochen in meine eigenen vier Wände eingezogen, wobei es ehrlich gesagt noch mehr oder weniger die meines Opas sind, der überraschenderweise nicht mal schweren Herzens in ein Altenheim gezogen ist, wo er jetzt beim Tanztee die Mädels im Haus aufmischt und zehn Jahre jünger wirkt als noch vor ein paar Monaten.

In den ersten vier Semestern habe ich, da die Uni vor Ort ist, noch bei meinen Eltern gewohnt. Mein Vater ist Lehrer und meine Mutter leitet, wie sie optimistisch behauptet, ein sehr erfolgreiches kleines Familienunternehmen, seit ich und mein Bruder auf der Welt sind, sprich sie ist Hausfrau. Ich bin also nicht gerade auf Bafög angewiesen, aber die Diskussion, ob ich zu Hause wohnen bleibe oder ausziehen könnte, war relativ kurz und einseitig. Bis eben mein Opa verkündete, er habe einen Altenheimplatz ergattert, da, wo auch Frau Schröder von gegenüber jetzt wohne und wir müssten ihm alle beim Umziehen und Entrümpeln helfen.

Mein Opa wohnt, seit ich denken kann, in einer Zweizimmerwohnung in Düsseldorf-Bilk. Nach vorne raus ist es relativ laut, da Parterre, aber nach hinten gibt es einen schön begrünten Innenhof, auf den man vom Balkon aus sieht. Und die Miete ist, weil er schon so lange da wohnt, spottbillig.

In den Wochen vor der Ankündigung meines Opas hatte es zwischen meiner Mutter und mir gewisse unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten über die Gestaltung meines Studiums und besonders meiner Semesterferien gegeben. Meiner Mutter schwebten Praktika, Jobs und Lernen vor, während ich nach einem überaus anstrengenden Semester eher an Ausschlafen, Chillen und Urlaub dachte. Die Grundstimmung innerhalb der Familie wurde so immer gereizter und auch mein 14-jähriger Bruder ging mir tierisch auf die Nerven. So kam meiner Mutter und mir in seltener Eintracht etwa gleichzeitig der Gedanke, dass ich Opas Wohnung übernehmen könnte.

Auch bei näherer Betrachtung ergaben sich nur Vorteile. Meine Eltern mussten nicht entrümpeln und renovieren. Meine Mutter liebäugelte bereits seit einiger Zeit mit dem Gedanken, es sich in meinem Zimmer gemütlich zu machen. Und ich konnte in mein eigenes Leben starten. Home, sweet home. Keiner, der mehr meckert, wenn man in den Ferien erst gegen Mittag aufsteht, kein kleiner Bruder, der nur rumnervt und Ruhe und Behaglichkeit 24 Stunden am Tag. Also das Paradies, dachte ich.

Wir alle halfen meinem Opa beim Umziehen. Das war nicht sonderlich anstrengend, weil er nur ein paar Bilder, seinen Fernseher und seine persönlichen Sachen mitnehmen konnte. Im Gegenzug für meine künftige Freiheit, den Hausrat und die Möbel musste ich mich verpflichten, potenzielle Renovierungen, Ummöblierungen und sonstige Sperrmüllaktionen in eigener Regie durchzuführen. Das sagte ich nur zu gerne zu, während ich bereits meine Sachen packte. Mein Vater war nicht nur bei meinem Umzug behilflich, sondern auch vorher, als es darum ging, den Vermieter davon zu überzeugen, dass die studierende Enkelin eine genau so erstrebenswerte und unproblematische Mieterin sein würde wie ihr scheidender Großvater. 

Meine anfängliche Begeisterung wurde in den nächsten Tagen etwas getrübt. Das Badezimmer stammte, wie fast alles in der Wohnung aus den Fünfziger bis Sechziger Jahren, aber nicht retromäßig cool, sondern eher vergammelt und hässlich, was zum Beispiel das Duschen zu einem Erlebnis der besonderen Art macht. Bunte Kissen und ein paar Poster machten den Anblick des Wohnraums nicht besser, sondern nur uneinheitlicher. So besorgte ich mir einen Ikea-Katalog und träumte ein paar Tage lang von hellem Laminat, Billy Regalen & Co und Accessoires wie Duschvorhängen, Tellern ohne Goldrand und Tapeten ohne aufdringliche, florale Muster.

Nach einer überschlägigen Berechnung der Kosten und einer kurzen Verzweiflungsphase beim Anblick meines Kontostandes siegte dann aber doch wieder mein Optimismus und ich fing an zu überlegen, wie ich zu Geld kommen könnte. Neben der Suche nach einem Job, den ich sowieso brauche, um einigermaßen gut über die Runden zu kommen, fielen mir die ganzen Möglichkeiten ein, sich im Fernsehen zum Affen zu machen für einen Stundenlohn, von dem nicht nur ich träume.

Der Redakteur vom perfekten Dinner kam wie verabredet und sagte nach der Wohnungsbesichtigung und meiner hastigen Erklärung über das Warum des Ambientes: „Puh, ich kann wirklich verstehen, dass du Geld brauchst. Aber traust du dich wirklich, diese Wohnung im Fernsehen vorzuführen? Du musst damit rechnen, dass das Leute sehen, die dich kennen. Und kannst du überhaupt kochen? Eigentlich müsstest du ein Probedinner zubereiten. Aber uns ist kurzfristig einer aus der Düsseldorfer Runde abgesprungen und darum könntest du ohne große Vorbereitungen einsteigen.“

Ich lächelte und versicherte, alles sei ein Kinderspiel. Er meinte, ich hätte den Job, einmal wegen ihres personellen Engpasses und außerdem seien sie nämlich immer auf der Suche nach etwas Besonderem, und das sei hier nun wirklich der Fall. Wir machten den Termin klar und zwei Tage danach entspann sich Sonntag mittags der oben erwähnte Dialog am Esstisch meiner Eltern. Also noch mal meine Mutter: „Wie oft habe ich dir gesagt…und du hast nicht mal reagiert… und jetzt ist es viel zu spät… und so weiter.“

„Hast du dir denn schon überlegt, was du kochen willst?“, unterbrach mein konstruktiver Vater den mütterlichen Monolog. „Ich hatte auf Mamas Rat gehofft“, sagte ich in bemüht kleinlautem Ton, der mir in dieser Situation angebracht erschien und mir auch relativ leicht fiel.

„Es muss etwas Idiotensicheres sein“, überlegte meine Mutter, schob das letzte Stück ihres ausgezeichneten Rinderbratens in den Mund, legte das Besteck beiseite und stand auf. „Ihr könnt schon mal den Tisch abräumen“, verkündete sie im Gehen und steuerte das Regal mit den Kochbüchern an. Mein Bruder schaltete augenblicklich und startete in sein Zimmer durch und so war ich mit meinem Vater allein am Tisch.

Er blickte mich besorgt an und räumte dann die Teller zusammen. Ich half ihm, die Spülmaschine zu beladen. Geil so ein Teil, das merkt man allerdings erst, wenn man es nicht mehr hat. Er räusperte sich. „Ich will ja nicht in dich dringen, aber ich wäre froh, deine Motivation verstehen zu können.“ Man muss dazu wissen, mein Vater ist Altphilologe und unterrichtet Latein, Griechisch und Philosophie. Für diese Fächerkombination ist er übrigens noch relativ von dieser Welt, nur ein bisschen umständlich.

„Geld“, sagte ich schlicht, während ich das Besteck in die Maschine räumte. „Aber wir zahlen doch deinen Unterhalt. Und für den Luxus könntest du dir doch einen Job suchen.“ Ich überlegte, wie ich ihm klarmachen könnte, dass das Dinner ein Job ist und ein überaus angenehmer und gut bezahlter dazu. Ich hoffte nur, dass er jetzt zum Thema Fernsehen nicht wieder auf der Brot-und-Spiele-Schiene landen würde, einem seiner Lieblingsthemen, dem Vergleich zwischen Reality TV und Circus Maximus.

„Das Einzige, was mir wirklich Sorgen macht“, sagte ich daher schnell improvisierend, „ist die Tatsache, dass ich keinen vernünftigen Essplatz habe. Die Typen legen extremen Wert auf ein tolles Ambiente.“ Mein Vater und ich sahen uns an und stellten uns in diesem Moment wahrscheinlich dasselbe Szenario vor, vermutlich fand er es nur weniger schlimm als ich.

Der Esstisch meines Opas ist eigentlich ein rechteckiger Couchtisch mit hässlichen Fliesen auf der Tischplatte, den man mit einer Kurbel so halbwegs auf Esstischhöhe bringen kann. Zwei Leute, und zwar die auf dem schwarz-roten Kunstledersofa, haben dann den Tisch ungefähr auf Höhe des Schlüsselbeins, während die beiden auf den gegenüberliegenden Küchenstühlen sich beim Suppelöffeln bücken müssen. Die auf dem Sofa haben immerhin den Vorteil, das Geschirr mehr oder weniger nur von schräg unten sehen zu müssen.

Mein Vater tätschelte mitfühlend meinen Arm und meinte: „Mama fällt bestimmt was ein.“ Wenn man vom Teufel spricht…, nein das ist nicht fair in dieser Situation, jedenfalls segelte meine Mutter beladen mit etwa einem halben Dutzend Kochbüchern um die Ecke und breitete diese Beute auf dem Küchentisch aus. Ich hatte den Eindruck, es würde von mir erwartet, mich dazu zu setzen und zumindest den Anschein zu erwecken, mich nützlich machen zu wollen. Die Strategie schien aufzugehen. Meine Mutter lächelte schon wieder und betrachtete offensichtlich das Ganze als eine Art Herausforderung, der die Familienmanagerin gewachsen sein würde.

„Also, ich habe nachgedacht. Du schaffst es auf keinen Fall in einer Woche, die Kunst der Haute Cuisine zu erlernen. Daher müssen wir auf Finessen wie Soufflés und Filets, die auf den Punkt rosa gebraten sind, wohl leider verzichten. Wir gewinnen mit hervorragenden Zutaten wie Trüffeln und Jakobsmuscheln.“ Sie begann wild zu blättern in einem Werk mit dem Titel „Das Beste für Gäste und Feste“.

„Ich wollte eigentlich beim Discounter einkaufen“, sagte ich nervös. Ich konnte es mir nun wirklich nicht leisten, einen Input von 100 € oder mehr zu riskieren bei der nur zwanzigprozentigen Chance, den Einsatz zu verfünfzehnfachen, wobei die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen, wegen meiner mangelnden kulinarischen Fähigkeiten momentan die 20-%-Marke vermutlich deutlich unterschritt. Die bisherigen Erkenntnisse meines BWL-Studiums ließen sich in dieser Sekunde einfach nicht verdrängen.

Meine Mutter jaulte auf. „Vergiss es! Die begleiten dich doch beim Einkaufen mit der Kamera. Du musst auf den Markt und in Feinkostläden und in eine Vinothek. Das ist das Mindeste.“

Ich will jetzt niemanden mit den Diskussionen der folgenden Stunden langweilen. Es ergab sich jedenfalls folgender Kompromiss zwischen meiner Mutter und mir, wobei man die Rolle meines Vaters als mäßigenden Moderator nicht unterschätzen darf:

1. Das Dinner würde in meiner von meinem Vater und mir weiß getünchten geräumigen Diele stattfinden, und zwar am Esstisch meiner Eltern, der mit Stühlen, Tischwäsche, Geschirr, Besteck und Gläsern aus dem gleichen Haushalt versehen würde. Den Transport würden mein Vater und mein davon noch ahnungsloser Bruder im glücklicherweise geräumigen Familienvan übernehmen.

2. Meine Mutter hatte folgendes Menu festgelegt: Als Vorspeise sollte es einen Blattsalat mit Gambas, Walnüssen und Himbeer-Balsamico-Dressing geben. Das Hauptgericht würde aus einem – wie meine Mutter meinte – idiotensicheren Geflügelfrikassee mit Blätterteig bestehen und zum Nachtisch hatte sie mehrere Sorten Obstsorbet mit zugehörigem Fruchtspiegel vorgesehen.

3. Die Einkäufe konnten tatsächlich zu 90 Prozent bei Feinkost Albrecht und Konkurrenzunternehmen stattfinden. Salat und Früchte würde ich begleitet vom Kamerateam auf dem Markt am Karlsplatz erstehen und danach sollte ich in einer Weinhandlung bei den Einkäufen gefilmt werden. Mein Vater, der diesbezüglich unbestrittene Experte der Familie, wollte allerdings an einem der nächsten Nachmittage mit mir dort ohne Filmteam bereits die Auswahl treffen.

4. Ich würde das Menu am kommenden Samstag generalprobenmäßig unter den Argusaugen meiner Mutter für die Familie kochen.

Getreu dem Motto, dass die Premiere umso erfolgreicher verlaufen wird, wenn die Generalprobe danebengegangen ist, brauche ich mir für den heutigen Tag der Entscheidung eigentlich keine Sorgen zu machen. Ich habe einen sechsseitigen Ablaufplan, der jeden Operation-Research-Experten ehrfürchtig staunen lassen würde, die Billigprodukte sind gekauft, der Flur ist gestrichen, die Möbel stehen, meine Mutter hat die Stoffservietten bereits kunstvoll zu Bischofsmützen gefaltet und ich habe die ersten Punkte des Plans abgehakt, nämlich das Geflügel, die Gambas und die Himbeeren aufgetaut, und das auch noch rechtzeitig. Meine Mutter hat versprochen, den ganzen Tag den Platz an der Hotline nicht zu verlassen. Komisch, dass ich trotzdem ein bisschen nervös bin. Es klingelt. Das muss das Team sein. Himmel hilf!

 

 

14 Stunden und 14.000 neue Eindrücke später: Ich werde nie (!) nie (!!) nie (!!!) Köchin oder auch nur Hausfrau werden. Ich hab gar nicht gewusst, wie platt man nach nur einem Tag sein kann. Ich bin erst 22, aber mein Rücken muss 100 sein und meine Füße noch älter. Aber eigentlich war es ganz lustig so im Nachhinein betrachtet.

Das Filmteam stand pünktlich vor der Tür. Während zwei Leute in meiner Wohnung blieben, um alles auszuleuchten, bin ich mit den anderen beiden zum Markt gefahren, habe da Kiwis, Ananas, frische Kräuter (eine Idee meiner Mutter natürlich) und Salat gekauft. Anschließend habe ich in der Weinhandlung gepunktet, weil mich der Inhaber dank des Besuchs mit meinem Vater und der Vorwarnung, ich würde demnächst mit einem Filmteam anrücken, schon mit meinem Namen anredete und es daher so aussah, als ob ich Stammkundin sei.

Wie verabredet schlug er mir einen Sancerre oder so ähnlich, jedenfalls einen ziemlich teuren Weißwein vor, den ich dann gnädig nickend nach einem Probeschluck akzeptiert habe. Ich hasse Wein, aber selbst ich sehe ein, dass man zu einem perfekten Dinner keinen Bacardi-Breezer servieren kann. Außerdem habe ich für den Nachtisch zwei Flaschen Sekt namens Cremant eingepackt, weil mein Vater meinte, Champagner passe weder zu meinem Alter noch zu meiner finanziellen Situation. Ehrlich gesagt, wäre der Champagner von Aldi auch nicht teurer gewesen, aber Aldi war wie gesagt heute tabu, es sei denn, die Produkte waren als solche nicht mehr identifizierbar.

Wieder zu Hause sagte die Redakteurin, ich solle sie einmal kurz durch meine Wohnung führen und ein paar Worte dazu erklären und dann einfach mit dem Kochen loslegen. Sie würden mich zwar gelegentlich mal was fragen, aber ich solle mich nicht wirklich stören lassen, sondern lieber kochtechnisch Vollgas geben.

Die Besichtigung meiner 55 Quadratmeter war relativ zügig abgewickelt. Ich erklärte lächelnd, dass ich erst seit sechs Wochen hier wohne und dass es die Wohnung meines Opas sei und ich noch nicht dazu gekommen sei, die Möblierung auszutauschen. Ich fand es weniger peinlich, den Zeitfaktor vorzuschieben als zuzugeben, dass ich kein Geld dafür habe.

Dann habe ich mich auf die Listen meiner Mutter gestürzt und versucht, mich an die Klippen des Samstag zu erinnern, um sie diesmal erfolgreicher zu umschiffen. Es ging besser als ich dachte. Als Erstes musste ich mich um den Nachtisch kümmern, weil die Eismaschine für drei Sorten Fruchtsorbet echt lange braucht und das Kühlteil zwischendurch immer wieder eingefroren werden muss. Das klappte aber ganz gut. Ich weiß jetzt sogar, was Läuterzucker ist. Und da bin ich die Einzige in meinem Freundeskreis, wie ich durch Befragungen festgestellt habe. Also die Arbeit am Nachtisch bestand aus Schnippeln, Pürieren und Einfrieren. Dabei konnte auch im übertragenen Sinne nicht viel anbrennen.

Der zweite Punkt war schon wesentlich heikler. Aber mit Hilfe von Huhn, Sahne, Brühe, Eigelb (nach einem Eiertrenn-Crash-Kurs bei meiner Mutter kaum noch ein Problem), Weißwein (vom Discounter), Champignons, Estragon und dem diskreten Einsatz von Saucenbinder ähnelte das Frikassee durchaus der Abbildung im Kochbuch. Eine kleine Verzögerung ergab sich durch die Tatsache, dass ich das Huhn wie auf dem Herd meiner Mutter auf Stufe 3 (laut Ablaufplan) garen wollte und erst überhaupt nicht begriff, warum sich nichts tat. Ein Anruf bei meinem Telefonjoker zu Hause löste das Rätsel. Opas Herdschalter hatten die Einteilung 1 bis 12, Mutters gingen bis auf eine Platte, die ich aber nicht benutzt hatte, nur bis 3. Man sieht, meine Kenntnisse standen auf reichlich tönernen Füßen.

Die mit Abstand ekligste Arbeit war das Entfernen der Därme der Gambas. Darauf hatte meine Mutter aber bestanden. Sie meinte, es gebe mit Sicherheit Punktabzüge, wenn die Gäste die schwarzen Strippen in den Tieren erspähten. Ich gab alles, muss aber sagen, die Garnelen sahen danach etwas zerzaust aus.

Anschließend sollte ich den Tisch decken. Die Devise in der ansonsten überaus bunten Großvater-Wohnung lautete: Ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß. Das bereitete wenig Probleme, weil meine Mutter alles bereits perfekt bereitgestellt hatte und ich nur noch die einzelnen Gegenstände auf dem Tisch verteilen musste. Und da mir die Lage von Besteck und Gläsern dank meines gutbürgerlichen Elternhauses bestens vertraut sind, ging mir das flott von der Hand. Ich muss sagen, das Ergebnis war erstaunlich prächtig.

Dann wurde es etwas hektisch. Die drei Eissorten, das komplizierte Salatdressing und die Vorbereitung der Fruchtspiegel brachten mich ordentlich ins Schwitzen. Die anschließende Dusche nahm ich sitzend in der Badewanne ein, weil ich immer noch keinen Duschvorhang habe und ich meinen Gästen kein unter Wasser stehendes Badezimmer zumuten wollte. Ehrlich gesagt ist es auch in trockenem Zustand Zumutung genug.

Kurz vor halb sieben mischte ich noch eine schnelle Pina Colada (endlich etwas, was ich wirklich kann), und stellte ein paar Scheiben Baguette und einen Schafskäsedip auf Opas Couchtisch, als es auch schon klingelte.

Ich atmete einmal tief durch und ging in Begleitung des Kameramannes zur Wohnungstür, wobei ich über das Kabel stolperte und daher etwas unsanft mit der Klinke in Berührung kam. So rieb ich mir die angeschlagene Schulter und versuchte trotzdem, ein warmes Willkommenslächeln auf mein Gesicht zu zaubern. „Das perfekte Dinner“ gehört seit meiner Bewerbung zu meinem täglichen TV-Pflichtprogramm und daher weiß ich: Die Punkte werden ganz schön oft nach Sympathie vergeben und der erste Eindruck ist extrem wichtig. So unter dem Motto: „Leider hat mir das Essen nicht so gut geschmeckt, aber Karl-Heinz hat sich unheimlich viel Mühe gegeben und war ein so netter Gastgeber. Deshalb möchte ich trotz der lauwarmen Suppe, des angebrannten Rehs und der geschmacksneutralen Creme noch nette 9 Punkte geben…“

Vor mir stand ein langer dünner Mann mittleren Alters mit einem Blumenstrauß in der Hand. Auch er grinste freundlich und stellte sich als Thomas vor. Ich bat ihn herein und er bemühte sich auch mir zu folgen, was sich jedoch als ziemlich kompliziert erwies. Meine Diele ist zwar für die einer 55 Quadratmeter großen Wohnung geräumig, jetzt aber standen da ein Esstisch, 5 Stühle, ein Kameramann, Lampen, Kabel, eine Redakteurin und ich im Weg. Thomas quetschte sich durch und ich führte ihn in mein Wohnzimmer. Ich meine, einen Anflug von Entsetzen in seinem Gesicht gesehen zu haben – was mich nicht wirklich wundert – bevor er seine Mimik wieder in den Griff bekam.

Ich kam nicht mal dazu, ihm einen Cocktail in die Hand zu drücken und ihm die Blumen abzunehmen, weil es schon wieder klingelte. Ich lächelte entschuldigend und sauste erneut zur Tür, diesmal allerdings mit Blick auf Kabel und sonstige Hindernisse. Mein nächster Gast versicherte, sie heiße Christine und freue sich, mich kennen zu lernen. Ich schätze, sie war etwa im Alter meiner Eltern. Na ja, wenn ich mit Leuten meiner Generation hätte zusammenkommen wollen, hätte ich in die Disco gehen sollen. Ich bat auch Christine herein und wies ihr den Weg zu Thomas ins Wohnzimmer. Thomas stand noch etwas verloren herum, begrüßte Christine und drückte mir endlich die Blumen in die Hand, während Christine mir eine Flasche überreichte. So bepackt konnte ich sie nur auffordern, sich zu setzen und sich eine Pina Colada zu schnappen.

Beide ließen sich auf Opas Sofa nieder und griffen nach den Gläsern. Sie prosteten mir zu, Thomas tat das souverän, Christine etwas zittrig. Ich dachte: Komisch, die ist nervöser als ich, dabei ist sie doppelt so alt und muss heute nicht kochen. Ich überlegte noch, ob ich erst die Blumen ins Wasser stellen sollte oder mit meinen Gästen anstoßen, als es schon wieder klingelte.

Ich öffnete die Tür und wouwh!!! Vor mir stand ein total netter Typ, jedenfalls vom Aussehen her. Jetzt wurde ICH leicht zittrig. Da willst du nur Geld verdienen und denkst an nichts Böses und dann so was. „Hi, ich bin Lukas“, sagte er und hielt mir eine Rose hin. „Emma“, murmelte ich, merkte, dass ich irgendwie rot wurde – passiert mir eigentlich sonst nie – und versuchte, Flasche, Strauß und Rose irgendwie in zwei Händen zu verteilen. „Kann ich helfen?“, fragte Lukas gerade, als hinter ihm der letzte Gast auftauchte, eine Frau so um die dreißig. Lukas machte ihr Platz. Sie nahm mich gleich in den Arm und stellte sich als Verena vor. Noch ein Blumenstrauß.

Ich versuchte, meinen auf Lukas fokussierten Blick zu lösen und rief mich zur Ordnung. Wo blieben meine Gastgeberqualitäten? Die Arme voller Blumen und Wein wies ich ihnen den Weg zu den anderen. Und hatte vergessen, wie der lange dünne Typ hieß. So stellte ich also nur Verena und Lukas vor und hoffte das Beste. Kein Problem. Thomas – ja richtig – begrüßte die Neuankömmlinge und ich eilte in die Küche, um endlich die Hände frei zu bekommen. Dabei rekapitulierte ich: „Lukas, Thomas, Christine, Verena, Lukas, Thomas…“

Ich warf erst mal die ganzen Mitbringsel auf den Küchentisch und schlängelte mich so schnell ich konnte ins Wohnzimmer zurück, wo ich die restlichen Coladas verteilte und zu meiner wohl durchdachten Begrüßungsrede ansetzte. So unter dem Motto, freue mich total und hoffe, dass alles klappt und der Abend schön wird, na ja also so das Übliche.

Lukas ließ mich gar nicht zu Wort kommen. „Sag mal, was ist das denn für eine Wohnung?“, fragte er völlig verblüfft. Ich hatte gerade das Freue-mich-total auf der Zunge und stockte entsetzt. Thomas sprang schnell in die Bresche und sagte: „Ist doch sehr gemütlich hier.“ Christine nickte heftig. Verena sah so aus, als platze sie gleich vor unterdrückter Heiterkeit.

Also improvisierte ich: „Ich freue mich, euch in der Wohnung meines Opas begrüßen zu dürfen.“ Das war offenbar jetzt endgültig zu viel für Verena. Sie lachte laut, prostete mir zu und sagte. „Ich freue mich auch total. Wo hast du denn den Opa gelassen?“ „In der Besenkammer“, vermutete Thomas. Ich klärte die Situation auf und Lukas strahlte mich erleichtert an. „Ich konnte mir auch einfach nicht vorstellen, dass jemand wie du sich so einrichtet.“

Jemand wie ich…Emma, denk an den Blätterteig, an das Geld, an das Fernsehen, an die Stimme aus dem Off, die jede Schwäche süffisant offen legt. Du musst da nicht wie ein liebeskrankes Huhn dem Frikassee Konkurrenz machen.

Also konzentrierte ich mich auf Christine – die auf den ersten Blick Harmloseste – und bat sie, mich ein paar Minuten als Gastgeberin zu vertreten, weil ich wegen der Vorspeise in die Küche müsse. Das war ein Fehler. Sie hatte sich gerade etwas entspannt und guckte jetzt wieder ganz nervös. Nicht zu ändern. Ich beschloss, mich zu beeilen.

Der Blick auf den Ablaufplan brachte mich dazu, etwas Öl in einer Pfanne zu erhitzen und die zauseligen Gambas zu braten. Während das geschah, stopfte ich die Blumen in einen mit Wasser gefüllten Messbecher – keine Ahnung, ob und wenn ja wo Opa Blumenvasen hatte - richtete den vorbereiteten Salat auf Tellern an, verteilte dekorativ ein paar Walnusshälften und Orangenfilets darauf und kleckste wie auf der Skizze meiner Mutter zu sehen, das ebenfalls fertige Himbeer-Balsamico-Dressing kreisförmig auf den Tellerrand. Ich probierte eine Gamba, die in der heißen Pfanne ebenso schön errötet war wie ich vorhin und zählte die übrigen dann auf den Tellern ab. Obendrauf noch ein Klecks Dressing und ein Minzeblättchen. Ich muss schon sagen, das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

Der Plan sah nun das Servieren von Vorspeise, Wasser und Weißwein vor. Netterweise übernahm Thomas den Korkenzieher und den Sancerre und überreichte mir die geöffnete Flasche. Mein Vater hatte mir die nun folgende Prozedur mehr als wärmstens ans Herz gelegt. Ich fragte also mit der Flasche in der Hand und dem Gesichtsausdruck von Freddy Frinton aus „Dinner for one“, wer denn der Weinexperte in der Runde sei und nun probieren möchte.

Schweigen im Saale. Ich wollte Christine nicht schon wieder in Verlegenheit bringen, Lukas sah mehr nach einem Experten für Tequila Sunrise oder Sex on the Beach aus und so blickte ich zwischen Thomas und Verena fragend hin und her. Thomas, der Nette, erbarmte sich meiner und gab das volle Programm. Erst schwenkte er das Glas, dann schnüffelte er und schließlich kaute er einen Schluck gut durch. „Wunderbar“, meinte er freundlich. „Und er hat auch genau die richtige Temperatur.“

Ich strahlte ihn dankbar an und goss dann – strenge Regel Nummer 1 meiner Mutter – zuerst den Damen, dann den Herren und zum Schluss mir ein. (Regel Nummer 2 ist übrigens: Nur von rechts servieren und von links abräumen). Wir prosteten uns zu, tranken einen Schluck und ich dachte: „Um Himmels Willen, der Wein ist ja furchtbar. Er schmeckte einfach schrecklich, irgendwie total sauer. Allerdings pendelt mein Geschmack so zwischen Alkopops und Asti, ich bin also vielleicht nicht unbedingt die Weinexpertin. Es beschwerte sich übrigens niemand. Vielleicht waren sie aber auch nur zu höflich.

Dann beschäftigten wir uns alle mit dem Salat. Was soll ich sagen? Er war ok. Kein Sand knirschte zwischen unseren Zähnen, die Gambas waren zart, das Dressing war sogar ganz lecker, aber Salat ist für mich grundsätzlich nicht so der Hype. „Köstlich“, sagte Christine freundlich und die anderen nickten. Gut, sie haben alle aufgegessen, ich hab mich bisher nicht blamiert, aber es hat jetzt auch niemand nach dem Rezept gefragt.

Nach der Vorspeise folgt für den Koch des Tages natürlich die Zubereitung des Hauptgangs und die Gäste sehen sich normalerweise in den geschmackvoll eingerichteten Behausungen der Gastgeber um und versuchen, in Schränken, Truhen und Schubladen, Peinliches aus seinem Leben auszugraben. Bei mir musste man nicht lange suchen. Die Wohnung ist eben für jemanden meines Alters ein peinliches Gesamtkunstwerk.

Während Christine und Verena wahrscheinlich auf der Suche nach Produkten der Firma Fromm mein Schlafzimmer inspizierten, besuchten mich die beiden Männer in der Küche, wo ich gerade die tauenden Blätterteigplatten mit den Plätzchenformen meiner Mutter zu gefälligen Mustern ausstach. Lukas betrachtete offenbar fasziniert das grauviolette abgetretene Linoleum, das einen wunderbaren Kontrast zu den olivgrünen Küchenschränken bietet. Die Kacheln zwischen Ober- und Unterschränken leuchten in einem warmen Kackbraun, etwa jede dritte hat ein Muster aus Vögeln, Blumen oder Bäumen. Die Tapete ist einigermaßen dezent in beigegrau gehalten. Angedeutete Vögel fliegen über Schilfrohre.

Lukas schwieg. Wahrscheinlich hatte ihm das Grauen die Sprache verschlagen. Thomas sah durch die offene Balkontür auf den durchaus netten Innenhof und meinte aufmunternd: „Du hast wirklich Glück mit dieser Wohnung. Wenn du sie dir noch ein bisschen nach deinem Geschmack hergerichtet hast, werden dich alle darum beneiden.“

Ich sah ihn zweifelnd an, aber es war keine Ironie in seinem Blick zu finden. Lukas riss sich zusammen. „Ja, das kann echt cool werden, wenn erst mal alle Möbel raus sind.“ - „Und die Fußböden und die Tapeten und das Bad“, ergänzte ich, worauf sich beide aufmachten, um meinen Wellnessbereich zu begutachten. Ich pinselte derweil die Blätterteigbrocken ein und schob sie hastig in den Ofen, damit niemand ihn von innen sehen konnte. Ich verzichte hier auf eine Beschreibung. Ihn noch einmal sauber zu bekommen schien mir aussichtsloser, als das Geld für einen Neuen aufzutreiben.

Opas Küche bot in Details wiederum erstaunlichen Komfort. So war über dem Herd eine Drehuhr fest installiert, die ich nun nach einem Blick auf meine Liste auf 15 Minuten stellte. Anschließend begann ich damit, das Frikassee langsam und schonend (O-Ton Mama!) zu erhitzen. Nach dem Vorbild einer kopierten Seite aus „Das Beste für Gäste und Feste“ dekorierte ich die noch leeren Teller mit etwas Salat und einer Scheibe Sternfrucht, in die ich ein paar Zweiglein Estragon steckte und mit je drei frischen Himbeeren krönte. Danach glaubte ich Zeit dafür zu haben, mal nach meinen Gästen zu schauen. Sie saßen mittlerweile wieder am Esstisch und schienen sich prima zu amüsieren. Ich gab erneut die bemühte Gastgeberin, erkundigte mich, ob es an nichts fehle und schenkte Wasser und Wein nach.

Verena, die der Küchentür am nächsten saß, schnupperte und sagte dann hastig: „Ich glaube, du solltest mal nach dem Essen schauen.“ Jetzt roch ich es auch und sprintete zu meinem Topf. Fuck! Topf vom Herd und Tür zu. Handy, Mama, Hilfe! Parallel zu den mütterlichen Anweisungen bimmelte die Küchenuhr. Blech raus, hatte ich etwa keine Topflappen? Egal, ein Handtuch tat es auch. Die Pastetchen dufteten und sahen knusprig und goldbraun aus. Wenigstens etwas. Ich verteilte sie auf den Tellern und hob dann gaaaanz vorsichtig den nicht angebrannten Teil des Frikassees aus dem Topf, den ich danach ganz hinten im Schrank verstaute. Schlimm genug, wenn die das alle in ein paar Wochen bei der Aufzeichnung im Fernsehen mitkriegen würden.

Tür wieder auf, strahlendes Lächeln und von rechts den beiden Damen serviert. Perfekt. „Ist dir warm?“, fragte Lukas. Ich sagte nichts, sondern stellte auch ihm und Thomas die Teller hin. Von rechts. Meinen eigenen knallte ich schon liebloser auf meinen Platz. „Lasst es euch schmecken“, sagte ich mehr hoffnungsvoll als überzeugt und nahm eine Gabel Frikassee. Lieber Gott oder Mama oder wem auch immer: Danke! Es war gerade noch mal gut gegangen. Man schmeckte nichts von meinem Malheur und da Mama die Mengen großzügig bemessen hatte, waren die jetzt etwas geschrumpften Portionen immer noch ausreichend.

„Hast du den Blätterteig selbst gemacht?“, fragte Verena. „Klar“, antwortete ich, während Thomas mich etwas erstaunt ansah. „Ist das nicht furchtbar kompliziert und langwierig?“, wollte Christine wissen. „Überhaupt nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Du taust die Platten auf, stichst sie aus, bepinselt sie, schiebst sie in den Ofen und fertig.“ Thomas entspannte sich: „So hat Verena das glaube ich nicht gemeint.“ - „Wie denn?“, fragte ich nervös. Was gab es daran falsch zu verstehen? Thomas erklärte darauf das Verfahren, wie man aus Butter, Mehl und so weiter tagelang Schichten knetet und faltet, bis man so was wie die Platten selbst fabriziert hat. Um Himmels willen, wer macht denn so was, wenn man die Dinger preiswert in jeder Tiefkühltruhe im Supermarkt kaufen kann?

Während meines Frikassee-Debakels hatten sich die anderen schon miteinander bekannt gemacht. Ich wurde aber in Kurzform auf den Stand der Dinge oder besser der Personen gebracht. Lukas ist 24, studiert Informatik auch an der Heinrich Heine Uni, lebt in einer WG und geht in zwei Wochen für ein Semester nach Sydney. Der Glückliche, schade, ich hätte ihn gern näher kennen gelernt.

Thomas ist 42, Journalist und wohnt in Golzheim. Das ist definitiv eine der besseren Düsseldorfer Wohngegenden, aber nicht gerade die hipste. Ich zum Beispiel würde, wenn ich genug Geld hätte, in einer Loft im Hafen wohnen. Thomas ist geschieden und hat drei Kinder, die aber bei seiner Ex leben. Ich finde ihn total sympathisch. Ich habe den Eindruck, er durchschaut meine kochtechnische Unsicherheit, hackt aber nicht drauf herum, sondern versucht die ganze Zeit, mir irgendwie zu helfen.

Verena ist 38, hätte ich nie gedacht, sie sieht viel jünger aus. Sie hat lange braune Haare, total schöne Augen und lacht die meiste Zeit. Sie ist ausgerechnet bei der Kripo, hält sich aber, was ihren Job angeht, eigenartig bedeckt. Ich würde an ihrer Stelle eine spannende Geschichte nach der anderen erzählen. Tut sie aber nicht, auch wenn man sie fragt. Sie ist Single und wohnt in Derendorf.

Christine ist 50 und Goldschmiedin. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder in meinem Alter. Sie scheint auch sehr nett zu sein, versucht immer alles zu loben, aber irgendwie denke ich, sie fühlt sich noch nicht ganz wohl in der Runde.

Insgesamt gesehen habe ich den Eindruck, dass es durchaus hätte schlimmer kommen können. Wir haben weder Vegetarier noch Antialkoholiker oder offensichtlich chronische Nörgler am Tisch.

Thomas, der morgen dran ist, lenkte das Gespräch darauf, was die einzelnen Leute überhaupt nicht mögen, was ich ganz clever finde, denn so kann er bei seinem Essen vermeiden, dass es einem von uns überhaupt nicht schmeckt. Ich bin allerdings ganz dankbar, dass ich als Erste in der Runde auf so etwas keine Rücksicht nehmen konnte. Es wäre schrecklich gewesen, auch noch Sonderwünsche berücksichtigen zu müssen.

Aber auch in diesem Punkt sind alle ganz unkompliziert. Wir haben uns darauf geeinigt, keine Innereien zu kochen, Lukas hasst rote Beete (ich übrigens auch) und ist insgesamt nicht gerade der Gemüsefreak, ist aber bereit, alles zumindest mal zu probieren.

Als wir so weit in der Konversation gediehen waren, habe ich die Teller abgeräumt (von links!) und mich um den Nachtisch gekümmert. Und der war richtig geil, was auch die anderen alle bestätigten. Auf jeden Teller, den ich erst einmal mit Puderzucker bestäubt habe, kamen je drei runde Kleckse Fruchtmus, Himbeere, Ananas und Kiwi. Darauf habe ich vorsichtig je eine Kugel Eis – natürlich wieder Himbeere, Ananas und Kiwi – deponiert. Dazu gab es drei Himbeeren, eine Scheibe Kiwi und zwei Stückchen Ananas.

Das Eis zu machen, ist mit der Maschine und dem Rezept ein Kinderspiel, es dauert nur ewig. Zum Dessert gab es diesen Cremant-Sekt, der mir wieder nicht schmeckte. Auch Lukas trank nur ein halbes Glas. Dafür musste ich für die übrigen drei sogar die zweite Flasche öffnen, vielmehr Thomas war so nett.

Vor einer halben Stunde sind sie gegangen. Ich habe noch kurz meine Eltern angerufen, weil ich weiß, dass meine Mutter ohne einen Lagebericht wahrscheinlich die ganze Nacht nicht hätte schlafen können – schließlich war das Letzte, das sie von mir gehört hatte, der Frikassee-Notruf gewesen. Auch das Filmteam ist unter großem Getöse verschwunden mit allen Lampen, Kameras und Kabeln. Für meine Nachbarn war das offenbar auch ganz schön aufregend. Sie hingen größtenteils in den Fenstern und beobachteten den Abgang. Mal sehen, wer mich morgen im Treppenhaus abpasst?

Wie ich mich selbst bewerten würde? Keine Ahnung. Ich lasse alles stehen und liegen und krieche nur noch ins Bett. Ich habe es hinter mir. 

 

Die Bewertung:

 

Thomas: „Emma war eine ganz reizende und bemühte Gastgeberin. Aber man merkte ihr doch schon ihr Alter und ihre Unerfahrenheit an. Alles hat gut geschmeckt, aber sowohl die Vorspeise als auch besonders das Hauptgericht waren für ein wirklich perfektes Dinner einfach nicht raffiniert genug. Der Nachtisch dagegen war erstklassig. Die Weine waren überraschend gut, passten zum Essen und hatten genau die richtige Temperatur. Die Tischdeko hat mir gut gefallen. Ich schwanke zwischen 7 und 8 Punkten. Als Erste und Jüngste bekommt sie einen halben Bonuspunkt, also 8 Punkte.“

Verena: „Ich wünschte, ich hätte mit 22 schon solch ein Essen auf den Tisch bekommen und auch den Mut besessen, Gäste und vor allem das Fernsehen in eine derartig grauenhafte Wohnung einzuladen. Ich finde die Runde sehr nett und habe mich heute Abend total wohlgefühlt. Es hat mir ganz gut geschmeckt. Ich gebe 7 Punkte.“

Lukas: „Ich finde Emma klasse und die anderen ganz interessant. Das Essen ging so, wobei das Eis richtig geil war. Aber ich hätte mich nicht getraut, irgendjemanden in diese Wohnung einzuladen. Das war schon peinlich, wie es da aussah. Ich hätte erst mal renoviert und mich dann beim Perfekten Dinner beworben. Aber Emma zuliebe: 8 Punkte.“

Christine: „ Ich bin total begeistert von der netten Runde. Ich bin sehr nervös angetreten, aber völlig ohne Grund. Emma und Lukas sind im Alter meiner Kinder, deshalb hatte ich direkt einen guten Draht zu ihnen. Thomas ist einfach ein Schatz. Mit Verena bin ich noch nicht ganz warm geworden, aber vielleicht kommt das ja noch. Sie ist jedenfalls auch ausgesprochen freundlich. Das Essen hat zwar gut geschmeckt, war aber durchschnittlich. Emma hat sich aber sehr bemüht und deshalb gebe ich ihr liebe 7 Punkte.“

Emma legt also 30 Punkte vor.

 

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